Liebe LeserInnen,
lang, lang ist’s her, dass ihr auf diese Weise von mir hören konntet. Was soll ich sagen?! Die Ideen waren zahlreich und an der Umsetzung haperte es gravierend! Um nicht zu sagen gänzlich! Allerhand ist passiert, also macht‘s euch gemütlich, holt euch ein paar Snacks, schnappt euch ein schönes Kalt- oder Heißgetränk (je nachdem auf welcher Halbkugel ihr euch befindet) und schärft die Äuglein!
Zunächst eine Einschätzung der Gesamtlage und für die Statistiker unter euch ein paar facts & figures. Bei derzeit 25-30 Grad und zauberhaft sonnigen Frühsommertagen hat die Pandemie Argentinien immer noch stark im Griff. Die Impfbereitschaft ist hoch (82 % 1. Dosis, 69% vollständig) , die positiven Coronafälle steigen derzeit etwas (7-Tage-Inzidenz liegt bei 83) , zu erneuten Lockdowns kam es nicht mehr. Erst vor zwei oder drei Monaten fiel die Maskenpflicht al aire libre. Das heißt, dass wir hier das ganze Jahr mit Maske im Klassenzimmer verbracht haben.
Nachdem wir zuerst mit einem Gruppensystem ins neue Schuljahr gestartet waren, begaben wir uns kurzzeitig zurück in die Virtualität, um danach wieder in vollster Gänze und Gloria im Klassenzimmer zu sitzen. Jetzt ist das Schuljahr in den letzten Schritten, egresados (so werden Schüler bezeichnet, die die Vorschule, die 6. und die 12. Klasse beenden) sind überall feiernd anzutreffen. Dieser festliche Rahmen gefällt mir wunderbar!
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Meine so sehr gewünschte und geliebte Weihnachtsstimmung hat sich aber trotz turbulenter Plätzchenbackaktion mit den Sechsklässlern (von Matschepampe bis Sandteig war alles dabei) und Weihnachtslieder rauf und runter hören dennoch nicht eingestellt. Es fehlte wohl an klirrender Kälte und am wärmenden Glühwein in der in Fäustlingen eingepackten Hand. Aber hier will ich mich gar nicht beschweren. Mit vollsten Vitamin D Speichern geht’s nämlich jetzt für mehrere Wochen nach Bayern bis hier das Schuljahr wieder beginnt!
Bariloche, Ville La Angostura, San Martín de Los Andes, Mendoza
Aber was ist eigentlich im letzten Jahr alles passiert? Einiges, meine Freunde, einiges! Zuerst habe ich die abgeschwächten Einschränkungen im argentinischen Sommer genutzt und bin ein wenig im Land gereist. Das war fabelhaft, denn bisher kannte ich hauptsächlich die Betonburgen der Hauptstadt. Im vergangenen Jahr konnte ich insgesamt 4 der total unterschiedlichen 23 Provinzen Argentiniens erkunden. Zuerst war ich in den Städten Bariloche, Villa la Angostura und San Martín de los Andes (benannt nach dem Nationalhelden und Unabhängigkeitskämpfer Argentiniens).
Cerro Campanario (4.682m) Lago Nahuel Huapi Bariloche Ausritt mit Gauchos …klar war ich eingecremt… auf dem Bild fehlt meine Mahlzeit: Karotten-Kraut-Salat 🙂
Ich bin auf Berge zu von deutschen Wanderfreunden erbauten Schutzhütten gestiegen, in gigantisch kalte Gletscherseen gesprungen, habe bei meiner ersten Reise allein viel über mich selbst gelernt und wundervolle Flecken Argentiniens gesehen.
Parque Nacional Arrayanes glasklare Gletscherseen wohin das Auge reicht Mirador Social Club
Bariloche wurde von einem immigrierten Deutschen gegründet und heißt eigentlich San Carlos de Bariloche. Es ist eine der Städte in Argentinien, die viele deutschsprachige Einwanderer anzog. Deshalb spiegelt sich dieser alpenländische Einfluss an vielen Stellen im Stadtbild wieder:
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Exkurs: 3 Immigrationswellen aus Europa – die bewegte Einwanderungshistorie Argentiniens
- und größte Welle: zum ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert siedelten viele Deutsche und andere Europäer aus den von Aristokratie und Kaisertum dominierten Ländern in scheinbar stabilere Demokratien nach Südamerika, wo sich diese Staatsform bereits etablierte und auch große Ansiedelungsflächen anzutreffen waren. Die Länder waren augrund der flächendeckenden Auslöschung der indigenen Bevölkerungen dünn besiedelt und schienen attraktiv für Siedler, die nach mehr Freiheit und weniger staatlichem Diktat strebten.
- Welle: zwischen den beiden Weltkriegen zogen viele Europäer aus Angst vor dem stärker werdenden Antisemitismus und der instabilen wirtschaftlichen Lage in andere Länder fernab ihrer Heimat. Diese Welle war bedeutend kleiner als die erste und unter diesen Auswanderern waren auch zahlreiche Juden. Schon bald konnten die aber nicht mehr nach Argentinien einreisen, denn nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges verabschiedete die argentinische Regierung das Dekret 11, das 1938 mit sofortiger Wirkung die Ausgabe von Visa an europäische Juden verbot. Dass die argentinische Regierung mit der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten sympatisierte, zeigte sich auch darin, dass Argentinien vermutlich nur pro forma Deutschland am 27. März 1945 (offizielles Kriegsende 2. September 1945) den Krieg erklärte. Dieser Schachzug hatte dann vor allem mit der 3. Immigrationswelle ertragreiche Auswirkungen für die Regierung unter Perón (genau, der Perón von Evita)
- und bekannteste, aber kleinste Welle: über die sogenannte Rattenlinie schafften es viele Anhänger, Kollaborateure und Kriegsverbrecher des Nationalsozialismus‘ aus zahlreichen europäischen Ländern den in ihren Heimatländern auf sie wartenden Gerichtsverfahren zu entkommen und sich nach Südamerika abzusetzen, wo sie im Falle von Argentinien mit offenen Armen empfangen wurden. Dieses Schmuggeln von Verbrechern war ein lukratives Geschäft für die argentinische Regierung. Bekanntere Figuren waren Josef Mengele (KZ Arzt von Ausschwitz), Adolf Eichmann (der später durch den Mossad enführt und in Israel vor Gericht gebracht werden sollte), Walter Rauff oder Erich Priebke (mitverantwortlich für das Massaker in den adriatinischen Höhlen bei dem 335 italienische Zivilisten als Vergeltung für den Tod von 33 Nationalsozialisten sterben mussten). –> https://www.youtube.com/watch?v=-3hsI3AUs88 Alle Zusammenhänge sind schaurig deutlich im Buch Odessa: die Wahre Geschichte: Fluchthilfe von NS-Kriegsverbrechern von Uki Goñi beschrieben (Leseempfehlung!!). In der Kurzform funktionierte die Flucht nach Übersee wiefolgt: Einreise nach Italien über die „neutrale“ Schweiz – neue Identitäten durch das Rote Kreuz + Unterschlupf im Vatikan – Verschiffung nach Argentinien (auch in andere Länder, wie Brasilien, Paraguay und Uruguay, doch der Anteil war deutlich geringer), Empfang im Netzwerk mit Wohnsitz, Job und Kontakten. Viele lebten bis zu ihrem Tod ein unbescholtenes und ruhiges Leben.
Für weitere Hintergrundinformationen: https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/religion_und_politik/aktuelles/2015/03_2015/ansichtssache_argentinien_als_zufluchtsort_fuer_nationalsozialisten.pdf
Puh…harter Tobak. Anstoß für die Recherche und das Lesen des oben genannten Buches gab mir eine Stadtführung in Bariloche „Huellas Alemanas – Deutsche Spuren“. All das rückt auch das Bestehen Deutscher Auslandsschulen in Argentinien in ein komplett anderes Licht und hat mir stark zu denken gegeben.
Exkurs Ende.
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Mit dem Bus durch das wunderbare Nichts nach Neuquén und Mendoza
Die Reise ging mit dem Bus weiter nach Neuquén (wenig spektakulär) bis nach Mendoza. Dabei durchfährt man für mehrere Stunden Gegenden, in denen einem wirklich nichts begegnet – kein anderes Auto, kein Haus, kein Netz. Halt Stop! Fast vergessen! Hier und da stehen dann schon Guanacos auf der Straße und grasen fröhlich vor sich hin. Kommt man dann näher an Mendoza reiht sich Weingut an Weingut und aus dem staubigen Gestrüpp werden grüne Reben. Hier konnte man wieder deutlich die argentinische Gastfreundlichkeit spüren, denn eine Frau, die in Bariloche im gleichen Hostel logierte wie ich, eine Mendocina (mendocino, mendocino, ich fahre jeden Tag nach Mendocino- vom Schlagerlump Michael Holm gecovert) bot mir prompt ihre Couch als Übernachtungsmöglichkeit an.
In guter Gesellschaft konnte ich also mit Insider-Tips fantastische Tage in Mendoza verbringen. Mendoza liegt nahe der Anden, die man hier auch Cordillera nennt.
Und als kleine Wandermaus wollte ich das erkunden, weshalb ich mir eine Exkursion mit dem Namen alta montaña (Hochgebirge) gebucht hatte. Mit der Vorstellung von viel gekraxl und gewander – immerhin war die Exkursion für 12 Stunden angesetzt- warf ich mich in mein bestes Outdoor-Outfit, rieb mich eifrig mit Sonnencreme ein (safety first) und setzte mich erwartungsvoll in den Bus. Als dann die ersten betagteren Mitexkursionisten mit Halbschuhen und ohne tip-top Sonnenschutz einstiegen, kamen mir erste Zweifel, die sich im Verlauf des Ausflugs erhärten sollten. 10 der 12 Stunden verbrachten wir im Bus. Die restlichen 2 Stunden stiegen wir aus dem Bus aus, machten Fotos, stiegen wieder ein oder machten Pause. Man könnte sagen, ich war also leicht overdressed, aber bloß a bissal!! Lehrreich und spannend war die Exkursion aber letztendlich doch, denn wir hatten einen tollen Tag erwischt und sind bis auf wenige km an die chilenische Grenze gefahren. Auf dem Weg dorthin sahen wir die Ortschaften Potrerillos, Ursupalla, die Termas de Cacheuta, die Inka Brücke, den Aconcagua (mit 6.900 irgendwas höchster Berg außerhalb Asiens) und die ehemalige und schon ziemlich verfallende Bahnlinie, die von Mendoza bis Santiago de Chile führte.
Erfüllt von atemberaubenden Eindrücken, bereichernden Begegungen und Gesprächen, dem Gefühl von Normalität, resilienter denn je und mit tausenden mentalen Fotos, ging das Flugzeug zurück nach busy Buenos Aires und ein neues Schuljahr erwartete mich.
Was in der zweiten Jahreshälfte passierte, folgt bald – Indianerehrenwort!
Es bleibt mir nur euch besinnliche Weihnachtsfeiertage inmitten eurer Liebsten und einen guten Start ins neue Jahr mit unerwarteten Abenteuern, Situationen des Hinfallens und Aufstehens und der Auskostung des Lebens bis zur Gänze zu wünschen. Passt auf euch auf!
Besitooos!