Wann Schweigen Gold ist

In jedem Land gibt es Themen, die unterschiedliche Perspektiven und Meinungen zulassen und eventuell zum Aufeinanderprallen dieser führen können. Dieser Blogeintrag wird sich ein paar dieser Themen widmen, die man in Unterhaltungen mit Argentiniern vielleicht eher umschifft, um verbalen Auseinandersetzungen fern zu bleiben. 🙂 Selbstverständlich solltet ihr das Folgende mit einem zwinkerndem Auge lesen und es handelt sich auch hier wieder nur um meine eigene subjektive Einschätzung und meine beschränkten Erfahrungen innerhalb der letzten 8 Monate. Ich berichte lediglich von meinen persönlichen Erlebnissen und möchte nicht generalisieren oder an den Pranger stellen. Keep that in mind when reading. 🙂

Aber im Vorfeld ein kleines Update zur aktuellen Lage. Die Infektions- und Todeszahlen steigen leider weiterhin vor allem im Hotspot der Pandemie, also in der Stadt und Provinz Buenos Aires, aber auch im Landesinneren kommt es immer wieder zu Neuausbrüchen. Mal geht’s ein bisschen runter und mal geht’s ein bisschen rauf – ein Höhepunkt ist noch nicht in Sicht. Heute (11/09) zählt Argentinien 524.198 Infizierte und 10.907 aufgrund des Virus Verstorbene. Wir befinden uns offiziell noch in der Ausgangssperre, aber da schon so viel gelockert wurde, fühlt es sich gar nicht mehr so an. Seit einer Woche dürfen Restaurants und Cafés mit Außenbereich wieder Tische und Stühle aufstellen und bewirten und ich kann euch sagen, dass die Argentinier das sehr genießen. Sie sind knallhart – egal, wie schlecht das Wetter ist, sie nutzen die neue Möglichkeit wieder in Restaurants oder Cafés zu gehen und sitzen draußen. Diese Einstellung gefällt mir!

Man kann sich frei innerhalb der Stadt bewegen und auch tagsüber Sport treiben. Für öffentliche Verkehrsmittel und die Überschreitung der Stadtgrenzen muss aber ein Passierschein vorgezeigt werden. Doch auch dort nehmen die Kontrollen ab. Bisher wurde ich erst einmal kontrolliert und zwar beim Abfahren von der Autobahn. Durch das Zauberwort Deutsche Botschaft habe ich so einen Passierschein und es war kein Problem. Die Polizistin fragte mich nur, ob ich Johanna bin. Den Nachnamen würde sie sich sparen, weil er zu kompliziert sei. 🙂

Ich erkunde derzeit sämtliche Ecken mit dem Fahrrad, denn wir haben seit mehreren Wochen herrlichstes Winterwetter mit Sonnenschein bei 13-19 Grad.

Da Buenos Aires sehr flach ist, kann man schön mit dem Fahrrad durch die Stadt gondeln. Selbstverständlich mit Helm und einem wachsamen Auge auf den Verkehr, aber die vielen neuerschaffenen, kilometerlangen Fahrradwege machen Buenos Aires mehr und mehr zur Fahrradstadt. Die größte Herausforderung dabei ist tatsächlich nur, das Fahrrad mithilfe des 1,5×1,5m großen Fahrstuhles im Haus selbst zu tranportieren.

la costanera

Bicycle, bicycle, bicycle
I want to ride my bicycle, bicycle, bicycle
I want to ride my bicycle
I want to ride my bike
I want to ride my bicycle
I want to ride my bicycle, races are coming your way

So forget all your duties, oh yeah
Fat bottomed girls, they’ll be riding today
So look out for those beauties, oh yeah

-Queen-

Aber nun zum eigentlichen Thema: welche Sujets haben Fettnäpfchenpotenzial?

FUßBALL

Eines dieser Themen ist der Fußball. Vor allem als deutscher Staatsbürger. Dass Argentinien eine fußballverrückte Nation ist, stellt kein Geheimnis dar und mit zwei gewonnen Weltmeistertiteln im Herrenfußball kann man diese Hingabe auch vollkommen verstehen. Generell ist es aber ein schwieriges Thema, denn man weiß nie, welche Einstellung der Gesprächspartner hat. Schon Buenos Aires an sich ist sehr gespalten – in Boca Juniors (blau/gelb) und River Plate (rot/weiß) Fans. Teilweise gehen diese Rivalitäten so weit, dass man das Stadtviertel des gegnerischen Teams nicht betritt! Bei meiner Tour durch den bunten Stadtteil La Boca, der normalerweise mit Menschenmassen gefüllt ist, war natürlich ein Abstecher zur Bombonera – dem Stadion der Boca Juniors – obligatorisch.

Bis zum heutigen Datum ist es in Argentinien noch nicht erlaubt, dass Fußballspiele in irgendeiner Weise stattfinden dürfen – inklusive Geisterspielen. (Außerdem sind etliche Spieler von Boca und River positiv auf Covid 19 getestet worden.) Das Sportfernsehen konnte also keine aktuellen Spiele zeigen. Nachdem dann alle glorreichen, nationalen sowie internationalen Partien der letzten Jahrzehnte (auch Rudi Völler und Co. flimmerten über den Bildschirm) gezeigt wurden und ich das Weltmeisterschaftsendspiel 2014 in Brasilien mindestens 3 Mal gesehen hatte, kam für die Argentinier endlich die Erlösung und sie hieß: La Bundesliga! Von allen Kanälen schallte es La Bundesliga hier, La Bundesliga da. Endlich erhielt das Fußballerherz wieder Nahrung in Form neuer Spiele. Dass das jetzt gerade aus Deutschland kam, wurde stillschweigend hingenommen.

Deutschland und Argentinien – keine leichte Beziehung. Der Schmerz über das verlorene Weltmeisterschaftsfinale beim Erzrivalen in Brasilien sitzt noch tief, wobei anerkannt wird, dass das Nationalteam 2014 als sehr schwer zu schlagen galt. Andere Stimmen fühlen sich aufgrund des nicht gegebenen Elfmeters für die Albiceleste um den Titel betrogen. Am besten fährt man meiner Meinung nach, wenn man die Jahre 2014 und 1990 nicht im Zusamenhang mit dem weltweit beliebten Rasensport erwähnt.

MARADONA und MESSI

In diesem Atemzug kommen wir auch gleich zum zweiten Thema, dem man sich nur mit Bedacht nähern sollte: Diego Armando Maradona. Gefeiert und verehrt, aber auch geächtet und verspottet. Er stellt eine sehr umstrittene Persönlichkeit in Argentinien dar. 1960 in Lanús – also einen Steinwurf von Buenos Aires entfernt – geboren, avancierte er bei den Boca Juniors zum Star bis seine Karriere in Neapel zum Höhepunkt gelangte. Und nach einem solchen Höhepunkt geht es ja meistens abwärts. Zu viel, zu schneller Ruhm, Verwicklungen mit der Mafia, Drogen und Parties gingen an Diego nicht spurlos vorbei und sorgten für seinen rasanten und spektakulären Abstieg. In den argentinischen Medien macht er nur noch selten von sich hören und wenn, dann mit seltsamen Interviews oder wirren Äußerungen. Er verkörpert Ruhm und Schmach zugleich. Viele Argentinier verehren ihn aufgrund seiner Authentizität und weil er kein Blatt vor den Mund nimmt. Andere finden seine Exzesse nur beschämend. Sprichst du mit einem Argentinier, weißt du daher nie, welche Seite von Maradona für ihn wichtiger ist. Auch nur die Hand Gottes zu erwähnen, kann manchmal nicht gut ankommen.

Lionel Messi hingehen ist der fußballspielende Mesias. Keine familiären Skandale, keine Drogengeschichten, keine überheblichen Charakterzüge. Aber auch das oft zu glatte Image Messis wird von treuen Maradona Fans kritisiert. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, welche mediale Welle sein Abschied-oder-nicht-Abschied aus Barca auslöste! 24/7 ging es auch in den seriösesten Nachrichtensendern nur um dieses Thema. Aus allen Ecken des Landes wurden Möchtegern-Experten, Verwandte 17. Grades und Kindergartenfreunde befragt und gaben fleißig Auskunft. Sicher hat sich irgendwann auch Maradona kompetent dazu geäußert. 🙂

EVITA und JUAN DOMINGO PERÓN

Nicht umsonst steht Evita auf dem bei Touristen beliebten Balkon in La Boca. Auch sie und ihr Gatte zählen wie Maradona zu nicht unproblematischen Persönlichkeiten. Ganz vereinfacht gesagt (wirklich, sehr vereinfacht – man nehme es mir bitte nicht übel) spaltet sich die politische Landschaft in Argentinien in zwei große Gruppen: Peronisten und Nicht-Peronisten. Wobei die von Perón (argentinischer Präsident: 1946-1955, 1973-1974), geprägte politische Strömung keine genaue Ausrichtung hat und auch keine Partei ist. Es wird gesagt, dass ein Peronist links sagt und rechts (politisch gesehen) geht und andersrum. Es kam auch schon vor, dass zwei Peronisten gegeneinander kandidierten, der eine politisch links, der andere politisch rechts. Alles geht auf Juan Domingo Perón und seine zweite Ehefrau María Eva Duarte de Perón zurück. Vielleicht überstrahlt Evita sogar die Popularität ihres Mannes. Ob man will oder nicht, man kommt an ihr nicht vorbei. Sie ziert etliche Wandgemälde, vorder- und rückseitig ein hohes Staatsgebäude oder Reklametafeln und auch den 100-Peso-Schein:

Heutzutage würde man vermutlich von einem politischen Power-Couple sprechen. Sie haben das Land umgekrempelt und mit vielen Reformen vor allem der Arbeiterschicht auf die Beine geholfen. Allerdings waren sie aber auch für die Aufnahme von flüchtigen Nazis nach dem Untergang des Dritten Reichs verantwortlich. Wie bei vielen Personen des öffentlichen und vor allem des politischen Lebens, kann also ihr Erbe kontrovers diskutiert werden. Und genau das macht es schwierig: in einem Gespräch kann man auf einen Verehrer oder auf einen Verächter der Peróns stoßen. Auch über Tagespolitik zu sprechen ist wenig ratsam, weil man sich ja grundsätzlich schon mal viel zu wenig damit auskennt. Mir kommt es so vor, als gäbe es politisch gesehen sehr viel schwarz-weiß-Denken. Was die eine Regierung in ihrer Legislaturperiode auf den Weg gebracht hat, schafft die folgende, andersgesinnte Regierung dann wieder ab. Mir wurde schon von Argentiniern erzählt, dass durch dieses Hin- und Her ein grundsätzliches Vorankommen schwer möglich ist und es Argentinien deshalb auch so schwer fällt, wieder auf die Beine zu kommen.

Nichtsdestotrotz (welch‘ wunderschöne Wörter die deutsche Sprache doch hat!) wird Evita vor allem von Touristen verehrt. Ihr Mausoleum ist eine Pilgerstätte im Friedhof Recoleta, in dem vor allem hochrangige Militärs, Geistliche und Politiker (also die Groußn und Gschaftign) ihre letzte Ruhe fanden.

Von letzter Ruhe kann man in Evitas Fall vor allem deshalb sprechen, da ihr Leichnam nach ihrem Tod Etliches durchmachen musste. Sie starb mit nur 33 Jahren an Krebs. Danach verschwand ihr einbalsamierter Leichnam spurlos, geriet wohl in die Hände ihrer Kontrahenten und wurde geschändet. Nachdem sie wieder bei Juan Perón im Haus aufgebahrt war, verbrachte seine neue Ehefrau (Isabel Martínez de Perón) mutmaßlich einige Nächte neben Evitas Körper, damit ihr Geist in sie hineinfährt, denn Isabel war lange nicht so populär wie Evita, wollte aber ihre großen Fußstapfen füllen.

So, genug zu Themen, die man in Gesprächen vermeiden sollte. Ich möchte noch kurz über etwas sprechen, das für mich sehr kurios ist: FEIERTAGE.

Klar, Feiertage gibt es bei uns auch, allerdings können wir im Jahr 2020 bereits sagen, auf welche Tage die Feiertage im Jahr 2025 fallen. Das geht in Argentinien nicht so einfach. Wieso? Ja, gute Frage. Ich habe am Anfang des Schuljahres gar nicht schlecht gestaunt, als quasi niemand ganz sicher wusste, wann wir frei haben und wann nicht… Zum einen hängen ein paar Feiertage von der Partei ab, die gerade an der Regierung ist und man wusste noch nicht, ob in diesem Jahr wieder peronistische Feiertage (die aktuelle Regierung ist peronistisch) eingeführt werden oder nicht. Zum anderen ist man hier flexibel, was die Verschiebung der Feiertage angeht. Fällt ein Feiertage auf ein Wochenende, kann er schon mal auf einen Freitag oder Montag gelegt werden. Brückentage bei Feiertagen am Dienstag oder Donnerstag gibt es sowieso am laufenden Band. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich dieses Jahr schon 5 Brückentage. Und manchmal ist es so, dass ein Feiertage so mir nichts dir nichts stattfindet (ein Jahr so und im nächsten Jahr anders). So geschehen letzte Woche. Gestern war nämlich Tag von Lomas. So heißt der Bezirk, in dem meine Schule ist. Letzte Woche kam dann eine Mail: „Es wurde angekündigt, dass der 10.09. auch frei ist.“. In keinster Weise möchte ich mich darüber beschweren. Warum auch?! Ich hab dann ja frei. 🙂 Der Kontrast zu dem, was ich aus Deutschland kenne, ist mir nur stark aufgefallen und an ein paar Sachen muss ich mich einfach noch gewöhnen.

Wieso erzähle ich euch das alles? Ich tue das, weil auch heute ein Feiertag ist: der Tag des Lehrers (es gibt auch den Tag der SekretärIn, der BibliothekarIn o. Ä.). Natürlich arbeiten wir heute nicht :). Feiertage werden grundsätzlich mit allem Brimborium zelebriert. Dann explodieren WhatsApp Gruppen mit gegenseitigen Glückwünschen, Videos werden gedreht und verschickt und heute am Lehrertag erhalten die (braven ;)) Lehrer Geschenke der Schüler. Da das in Coronazeiten ein bisschen aufwändiger ist als im Schulgebäude, haben sich die Eltern dazu entschieden, die Geschenke an unsere Privatadressen zu schicken. Und so kam es, dass es heute bei mir klingelte und ein Geschenk für mich ankam:

…liebevoll verpackt, mit vielen Süßigkeiten und lieben Botschaften gefüllt. Herzerwärmend. Ich war sehr gerührt. Auch trotz großer derzeitiger Distanz spürt man die Zuneigung der Schüler stark und an diesem Tag umso mehr. Schade, dass wir das nicht auch in Deutschland feiern. Über den Unterschied zwischen Deutschland und Argentinien bezüglich der Nähe zu Schülern, werde ich in einem anderen Blogeintrag berichten.

So, wieder einmal genug geschnackt! Jetzt noch ein kleines Zuckerl der letzten Woche (Ohren auf!):

Egal, wo du bist, wenn Modern Talking im Radio des Taxis läuft und dein Taxifahrer Juan Ignacio Schuster heißt, bist du im Herzen nie weit weg von zu Hause! :*

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