Haiti – die Perle der Antillen?!

    Nun sind wir also da. In dem Land das jeden Zuhörer unserer Reisepläne dazu veranlasst in Unverständnis die Augenbrauen zu heben. Ungläubigkeit macht sich breit. Haiti – der ärmste Staat der Karibik. Gelegen auf der Insel Hispaniola und bevölkert durch ca. 10,7 Mio. Einwohner. Natürlich alles nur Schätzungen.

Die ehemalige französische Kolonie erkämpfte sich 1804 die Unabhängigkeit von ihren Kolonialherren. Doch die neuerlangte Freiheit brachte hohe Reparationszahlungen an Frankreich mit sich, die den ehemals reichen Staat in ein Unglück stürzten, von dem er sich – auch aufgrund der Rückschläge durch Naturkatastrophen zuletzt 2006, 2010 und 2016 – noch lange nicht erholt hat.
Unsere Reise begann in Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik. Auf Hispaniola teilen sich zwei Staaten eine Insel, die von Grund auf anders ticken. Ein Dominikaner verdient im Schnitt 6 Mal mehr als ein Haitianer.
Mit dem Bus fuhren wir von Santo Domingo nach Pétionville. Die nahe der Hauptstadt Port-au-Prince gelegene Stadt gilt als sicherer, weshalb wir sie der Hauptstadt vorzogen. Diese Busfahrt an sich war bereits ein Riesenerlebnis.

Nicht nur haben wir die wunderschöne und vielfältige Natur der Dominikanischen Republik (DR) gesehen, sondern auch einen ganz speziellen Grenzübertritt erlebt. Schon am Schalter der Buslinie mussten wir unsere Reisepässe für die nächsten 6 Stunden abgeben. Hätten wir nicht vorher im Internet über das Prozedere gelesen, wäre uns das sehr spanisch vorgekommen. Bis zur Grenze war die Busfahrt unspektakulär, bis auf die Bustoilette, die man nur im Indersitz benutzen konnte, weil Inhalte der Schüssel sich auf dem Boden verteilten… An der dominikanischen Grenze mussten alle aus dem Bus und an den Einwanderungsschalter. Plötzlich hieß es „mitkommen“. Wir beide wurden mit einem Amerikaner aus dem Bus in einen 2×2 m Container gebracht und befragt. Wie in die Szene einer Kriminalserie versetzt. Die einzigen drei Weißbrote aus dem Bus wurden bei der Ausreise (!!) zum Grund des Aufenthalts, unseren Erfahrungen und unserem Leben von einem „Grenzbeamten“ befragt, der auch als mexikanischer Drogenboss durchgehen hätte können. Kurzzeitig war uns das Herz ganz schön tief in die Hose gerutscht. Nach aufregenden 10 Minuten und viel Gegockelei des Drogenbosses ging die Fahrt zur haitianischen Grenze weiter. Im Bus ernteten wir mitleidsvolle Blicke der Mitfahrer. Nachdem der Reisepass auch in Haiti gestempelt wurde, hielten wir endlich wieder unser wichtigstes Ausweisdokument in Händen. Haiti zeigte sich direkt nach der Grenze von seiner hässlichen Seite: Müll, Slums, Armut, Brandrodung. Außerdem haben wir in den 9 Stunden Fahrt außer dem Amerikaner niemanden gesehen, der auch nur annähernd unsere Hautfarbe hatte. Uns wurde bewusst, wer für die Zeit in Haiti der berühmte bunte Hund sein würde.

 

Pétionville – insgeheime Hauptstadt der wohlhabenderen Haitianer
Von den vielen Eindrücken übermannt liefen wir zu Fuß von der Bushaltestelle zum Hotel und wurden überraschenderweise überhaupt nicht angequatscht – was uns von vielen Leuten im Vorfeld prophezeit wurde. Man merkte, dass in Pétionville etwas besser gestellte Haitianer leben. In unserer gesamten Zeit in Haiti liefen uns nur 2-3 schlampig angezogene Leute über den Weg. Ansonsten waren die Menschen immer modern, sogar ziemlich westlich, gekleidet. Besonders für die Sonntagsmesse haben sie sich fein rausgeputzt. (Die meisten Haitianer sind Katholiken, dennoch hält sich der Voodookult überall noch stark.) Die Frauen hatten schöne und aufwändige Flechtfrisuren und in der gekräuselten Matte der Männer sah man zu unserer Belustigung des Öfteren einen Kamm stecken, den sie mit sich herumtrugen. Am nächsten Tag erkundeten wir zu Fuß unser Viertel auf der hoffnungslosen Suche nach einem Bankautomat, der unsere Kreditkarten akzeptiert – vergebens! Banken gibt es in Haiti übrigens wie Sand am Meer, genauso wie Beautysalons zum Haareflechten und, man mag es kaum glauben, Lottostände! Deutlich wurde bei unserem Stadtrundgang aber auch, dass sich die Lebensumstände extrem verschlechterten je mehr man an den Rand der Stadt kam und dass auch eine für haitianische Verhältnisse „bessere“ Stadt immer noch weit unter dem liegt, was man als Europäer als normal und sicher beschreiben würde.

Letztendlich kamen wir durch Tauschen (Eva gegen 13 Ziegen z.B. :P) zu Geld und sicherten unser Überleben im Supermarkt. Tag zwei in Pétionville begann wie gewohnt mit einer Affenhitze von 38 Grad. Doch innerhalb nur weniger Minuten schwenkte das Wetter auf sintflutartige Regenfälle. Der Stadtkern und somit unser Hotel liegt auf einer kleinen Erhöhung. Schon nach kurzer Zeit waren die Straßen und Gehsteige überflutet und es hörte einfach nicht auf zu regnen. Sämtliche Dinge wurden neben ganz viel Plastikmüll die Straßen runtergewaschen. Was zur Folge hatte, dass die Straßen am nächsten Tag sauber waren. Die am Fuße des Berges gelegenen Armensiedlungen müssen dadurch wohl bedauerlichweise in Wasser und noch mehr Müll versunken sein.
Da Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist, vermieden wir das Zentrum von Port-au-Prince und fuhren zum nächsten Busunternehmen, das uns in den Norden, der deutlich weniger durch Naturkatastrophen tangiert wurde, nach Cap Haïtien bringen sollte.

Cap Haïtien – Haitis „Tourismushotspot“
Es ist schon erstaunlich, wie viel man während einer einzigen Busfahrt erleben kann und wie sehr sich das Erscheinungsbild eines Landes in nur kurzer Zeit verändert. Wieder schlichen sich durch Meinungen dritter Bedenken über unsere Reisepläne ein. Die Dame an der Rezeption in Pétionville riet uns nämlich stark von der Fahrt mit dem Busunternehmen Sans Souci Tours (übersetzt bedeutet das so viel wie „Ohne Bedenken“) ab. Es sei für uns Hellhäuter (und dazu noch Frauen) zu gefährlich. Leider gab es neben eines viel zu teuren Fluges/Taxis keine andere Möglichkeit weiter nördlich zu kommen. Weshalb wir uns mit mulmigem Gefühl aufmachten. Der Bus war zwar, nennen wir es leicht lädiert (Einschlaglöcher in der Scheibe; alles was am Bus weghing wurde mit Panzertape und Kartons fixiert; das ständige Piepsen irgendeines Alarms haben wir bald überhört), aber die Organisation klappte super. Allerdings muss man sagen, dass man in Haiti ohne gute Französischkenntnisse wohl nicht weit kommt, da der Großteil der Bevölkerung kein Englisch spricht, sondern nur Créole. Diesmal waren wir wirklich die einzigen zwei Weißnasen und wurden prompt an die vorderste Front in die erste Reihe verfrachtet. Ob als Kanonenfutter oder um uns im Auge zu behalten ist bis jetzt noch nicht klar. Der Busfahrer hatte sein Gefährt sehr gut unter Kontolle, legte aber eine recht ruppige und aggressive Fahrweise an den Tag. Neben riskanten Ausweich- und Überholmanövern (er überholte einfach alles, Autos, andere Busse, Tap Taps, (siehe Bild), Roller, Ziegen) war sein liebster Zeitvertreib penetrantes Hupen, das aus mehreren Gründen verwendet wurde:
– Vorsicht!
– Hallo, hier komme ich.
– Geh auf d’Seitn, du Depp.
– Fahr schneller.
– Merce!
– oder vielleicht auch um sich wach zu halten.


Wir fuhren mit dem Bus hoch in die Berge Haitis und kamen aus dem Glotzen nicht mehr raus. Grüne, saftige und sanfte Berge wohin man blickt. Zwischendurch immer wieder kleine Ortschaften.

Leider wurden die Straßenverhältnisse zunehmend schlechter, was nur zu mehr Gewackel und Gehupe führte. Die Fahrt, die auf 4 Stunden angesetzt war, dauerte letztendlich 9 Stunden und wir kamen im Dunkeln am Ziel an. Zwei sehr nette Mitfahrer halfen uns auf der Suche nach einem Taxi zu normalen Preisen und brachten uns sicher zu unserem Hotel. Oder zu dem Platz, an dem unsere Unterkunft sein sollte… An angegebener Adresse am Stadtrand von Cap Haïtien war nämlich nichts. Nicht mal Licht. Nur eine sehr dunkle Straße mit vielen Menschen. Der Taxifahrer meinte, dass sich die Unterkunft auf dem Hügel befindet, den er aber mit seinem Klappertaxi nicht hochkäme. Also marschierten wir mit Rucksäcken bepackt mitsamt Mann aus dem Bus und Taxifahrer mitten durch das Elendsviertel einen 45% steigenden Hügel hinauf. „Blanca, blanca“ Rufe schallten von den Seiten an unsere Ohren und sorgten für ein beklemmendes Gefühl.

Wir waren heilfroh, in diesem Moment nicht alleine zu sein. Nach 5 Minuten und durchgeschwitzter Kleidung (viel zu kalte Klimaanlage in Bus und Taxi) kamen wir oben an der Rezeption an. Die Männer verabschiedeten sich, als sie uns in sicheren Händen sahen und Erleichterung machte sich breit. Nachdem uns der Besitzer der Unterkunft noch ein kühles Prestige Begrüßungsbier hinstellte wurde die Lage gleich noch besser! Der Franzose würde sagen <<C’était chaud!>> – „Das war knapp!“ Und der Franzose hat Recht. Über die etwas in die Jahre gekommene Unterkunft und die große Schabe im Bad sahen wir hinweg und schliefen den Schlaf der Gerechten.
Am nächsten Tag bot sich uns ein unglaublicher Blick über die Stadt und Bucht von Cap Haïtien. Abermals versuchten wir unser Glück bei den Geldautomaten und abermals waren es vergeudete Mühen. Mit dem Besitzer der Unterkunft ließ sich aber dann doch noch ein Geldgeschäft abwickeln, sodass wir wieder flüssig waren. An diesem Tag lernten wir den Engländer Paul und den Franzosen Joël kennen, mit denen wir abends noch in die Stadt zum Essen gingen. In dem sehr europäisch geprägten Restaurant fiel die Kluft zwischen Arm und Reich wieder deutlich auf. Durch den Aufstieg zum Hotel und somit den Gang durch die Wellblechhüttendsiedlung wurden wir aber dann doch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.
Der eigentliche Grund für unsere Reise nach Cap Haïtien war die Besichtigung der Citadelle la Ferrière. Eine riesige Festung in den Bergen Haitis, die nach der Unabhängigkeit durch Roi Christophe zur Verteidigung gegen die Franzosen erbaut wurde und der Bevölkerung im Notfall Unterschlupf bieten sollte. Zu diesem Ernstfall kam es allerdings nie und so blieb die Festung unbenutzt und total intakt. Auch alle Kanonen mitsamt Kugeln sind noch an Ort und Stelle.

Bevor es losging schüttelten wir freundlich aber bestimmt die unzähligen Guides, Pferde- schacherer und Hutverkäufer ab. Paul aus der Unterkunft schaffte das nicht und zahlte so 2,5x soviel als wir! Dieser Aufstieg war wieder sehr steil, dauerte aber lediglich eine halbe Stunde und bot wunderschöne Aussichtspunkte. Manche der äußerst wenigen Touristen schafften selbst das nicht und ließen ihre geldigen Hintern von mageren Pferden hochschleppen. Die Pferde wurden mit der Gerte geschlagen und hochgezerrt – es war widerlich mitanzusehen. Aber solange es Touristen gibt, die das in Anspruch nehmen, wird diese Quälerei nicht aufhören. Der Ausblick von der Citadelle war atemberaubend und zeigte uns wieder die Schönheit der haitianischen Natur.

Noch nie waren wir bei der Haupttouristenattraktion eines Landes so einsam unterwegs. Wunderbar und schade zugleich.

Der Besuch der Citadelle markierte auch schon den letzten Tag im Westen der Insel Hispaniola und wir reisten weiter in die DR. Dazu im nächsten Blogeintrag mehr.
Was kann man also über Land und Leute in Haiti sagen?! Globalisieren wäre hier fehl am Platz und man würde Haiti nicht gerecht. Es ist zugleich wunderschön und hässlich. Mehr als 50% der Bevölkerung kämpft in den Städten ums blanke Überleben, obwohl sie am Land viel besser aufgehoben wären. Das Müllproblem lässt Erinnerungen an Kambodscha aufkommen und stimmt traurig, weil manche Landstriche in Müll versinken.
Doch sobald man die Stadt mit ihren Elendsvierteln und brennenden Müllbergen hinter sich lässt, taucht man ein in eine Welt von unzähligen Facetten an grün und blau, dass einem fast die Spucke wegbleibt. Man kann wirklich mit Fug und Recht behaupten, dass Haiti seinen Beinamen „die Perle der Antillen“ nicht zu Unrecht erhalten hat.
Hilfsbereitschaft wird in Haiti groß geschrieben. In jeder Situation, in der wir etwas Hilfe brauchten, wurde uns immer auf sehr freundliche und nicht-opportunistische Weise weitergeholfen. Bis auf die Banken – mit denen stehen wir bis heute auf Kriegsfuß!
Anscheinend haben manche Leute in wichtigsten Positionen aber vergessen, wie schön Haiti ist und dass sich nicht alles darum dreht, ihre Taschen voller Geld noch voller zu machen. Vielleicht sollten sie mal mit einem Sans Souci Bus vom Süden in den Norden fahren um daran erinnert zu werden. Am besten mit unserem Busfahrer!
Haiti wird immer wieder zu Boden gedrückt, sei es durch die erwähnte Gewalt der Natur oder durch die korrupte Regierung, doch Haiti ist auch ein Stehaufmännchen. Es wird gebaut. Viel und überall. Der Duft vom Streben nach einer besseren Zukunft liegt in der Luft.

Besos!

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